Offener Brief für die Zukunft der Landwirtschaft

An:
Frau Maybrit Illner, Frau Sandra Maischberger, Herrn Peter Kloeppel, Herrn Claus Strunz

29. August 2017

Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,
liebe Journalistinnen und Journalisten,

in wenigen Tagen werden Sie Angela Merkel und Martin Schulz in der Debatte der Spitzenkandidaten mit den drängendsten Fragen konfrontieren, die sich stellen, wenn man politische Verantwortung für eine der größten Volkswirtschaften der Welt übernimmt.

Die unterzeichnenden Personen und Organisationen fordern Sie mit diesem Brief dazu auf, dabei ein Thema aufzugreifen, das für die Zukunft unseres Landes und die aller Menschen weltweit zentrale Bedeutung besitzt: der Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen, insbesondere mit der Ressource Boden.

Weltweit gehen fruchtbare Böden im Umfang von ca. 10 Millionen Hektar jährlich durch eine falsche landwirtschaftliche Nutzung und durch die Folgen des Klimawandels verloren. Das entspricht fast der gesamten Fläche, die in Deutschland als Ackerland genutzt wird. Nicht nur für die unmittelbar betroffenen Menschen ist dies katastrophal. Zugleich ist dieser Verlust Ausgangspunkt für politische Spannungen und Migrationsbewegungen, die längst begonnen haben, auch uns einzuholen.

Auch hier in Deutschland wird die Fruchtbarkeit der Böden durch eine nach industriellen Prinzipien organisierte Landbewirtschaftung abgebaut. Dies geschieht durch einseitige Fruchtfolgen mit hohen Anteilen derselben Anbaukulturen, sowie durch die Anwendung chemisch-synthetischer Stoffe zur Düngung, durch Biozide, wie Insektizide und Herbizide, die die biologische Vielfalt, und damit die unersetzbaren Funktionen des Bodenlebens, beeinträchtigen. Auf diese Weise werden die natürliche ökologische Widerstandsfähigkeit unserer Agrarlandschaften und ihre Ertragsfähigkeit gravierend geschwächt. Zusammen mit der weiter fortschreitenden Flächenversiegelung durch Überbauung gefährden wir so langfristig unsere Fähigkeit, ausreichend Agrarprodukte und Nahrungsmittel zu erzeugen.

Dagegen könnte eine regenerative, Humus und biologische Vielfalt aufbauende Landwirtschaft enorme positive Wirkung entfalten. Sie erhöht nicht nur die Fruchtbarkeit und Produktivität der Böden, sowie ihre Widerstandskraft gegen extremer werdende Umweltereignisse. Mittels des Aufbaus biologischer Vielfalt und organischer Masse können Böden in erheblichem Maß Kohlenstoff binden und für die landwirtschaftliche Produktivität nutzbar machen. Eine zukunftsfähige Bodenbewirtschaftung kann der Atmosphäre große Mengen CO2 entziehen – was angesichts der bereits deutlich sichtbar werdenden Folgen des Klimawandels von zentraler Bedeutung ist.

Um die Bedingungen für eine zukunftsorientierte Wirtschaft zu schaffen, benötigt es politische Unterstützung und einen förderlichen wirtschaftspolitischen Ordnungsrahmen. Die politischen und regulativen Rahmenbedingungen beeinflussen maßgeblich die unternehmerischen Erfolgsfaktoren und gestalten so Wirtschaftspraxis und die marktliche Entwicklung. Bislang befördert die Politik ein Wirtschaftshandeln, das unsere gesellschaftliche und ökonomische Zukunftsfähigkeit gefährdet und die natürlichen Lebensgrundlagen schädigt. Nicht nachhaltige Wirtschaftsweisen, die Lebensgrundlagen abbauen und die Kosten auf die Allgemeinheit abwälzen, sind bislang profitabler und somit wettbewerbsstärker. Dabei werden jedoch langfristig und global Ressourcen vernichtet, die zukünftig weder den Menschen, noch für Wirtschaftsaktivitäten und -unternehmen zur Verfügung stehen. Die Folgen davon tragen alle.

Unsere KanzlerkandidatInnen müssen Antwort auf die Fragen danach geben, wie sie die politischen Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige Marktwirtschaft gestalten wollen, damit regenerative Landwirtschaft und ein weltweiter Schutz von Böden und ihrer Fruchtbarkeit stattfinden.

Sie werden am 3. September 2017 diese Antwort aber nur geben, wenn Sie Ihnen dazu die erforderlichen Fragen stellen!

Wir, die wir in großer Sorge um die Wichtigste unserer natürlichen Lebensgrundlagen sind, wollen Sie dazu ermutigen. Denn hier geht es nicht um ein idealistisches „nice to have“- Thema, sondern um ein Überlebensthema für die Menschheit.

Die Böden und Landschaften, die wir nutzen, bilden das Fundament unserer Wirtschaft, sie sind Lebensgrundlagen als auch Produktionsgrundlagen in einem. Ihr Erhalt und ihr Aufbau ist eine Bedingung für unsere gemeinsame Zukunft – das ist unser aller Angelegenheit.

Mit besten Wünschen

Dr. J. Daniel Dahm
Vize Direktor, European Centre for Sustainability Research ECS, Zeppelin Universität Deutsche Gesellschaft Club of Rome DCoR
Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e.V. VDW

Dr. Felix Prinz zu Löwenstein
Vorstandvorsitzender, Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW e.V.)

Alexandra Wandel
Direktorin und Stellvertretende Vorstandsvorsitzende, Stiftung World Future Council

anstiftung
Daniel Überall, Vorstand

Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller e.V.
Dr. Alexander Beck, Geschäftsführender Vorstand

Biokreis e.V. – Verband für ökologischen Landbau und gesunde Ernährung
Franz Strobl, Vorstandsvorsitzender

Bioland e.V.
Jan Plagge, Präsident

Biopark e.V.
Jens Rasim, Vorstandsvorsitzender

Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) e.V.
Elke Röder, Geschäftsführerin

ECOVIN Bundesverband Ökologischer Weinbau e.V.
Andreas Hattemer, Vorsitzender

European Network of Scientists for Social and Environmental Responsibility (ENSSER) e.V.
Dr. Hartmut Meyer, Vorsitzender des Vorstandes
Dr. Angelika Hilbeck, Mitglied des Vorstandes

Demeter e.V.
Dr. Alexander Gerber, Vorstandssprecher

Gäa e.V. – Vereinigung ökologischer Landbau
Kornelie Blumenschein, 1. Vorsitzende

Germanwatch e.V.
Klaus Milke, Vorsitzender

Kartoffelkombinat eG
Daniel Überall, Vorstand

Bischöfliches Hilfswerk MISEREOR e.V.
Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer Bischöfliches Hilfswerk MISEREOR e.V.

Naturland e.V.
Hubert Heigl, Präsident

Naturschutzbund Deutschland (NABU)
Olaf Tschimpke, Präsident

Verbund Ökohöfe e.V.
Jürgen Hartmann, Vorstand

Josef Braun
Biolandbauer
Präsidium, Bioland e.V.

Nikolai Fuchs
Vorstand, GLS Treuhand
Stiftungsrat Zukunftsstiftung Landwirtschaft

Prof. Dr. Klaus Gabriel
Geschäftsführer des Corporate Responsibility Interface Center (CRIC) e.V.
Gastprofessor für Wirtschafts- und Unternehmensehtik an der Universität Kassel

Prof. Dr. Maximilian Gege
Vorsitzender, B.A.U.M. e.V.

Dr. Jörg Geistlinger
Hochschule Anhalt
Fachbereich 1: Landwirtschaft, Ökotrophologie und Landschaftsentwicklung Institut für Bioanalytische Wissenschaften
Leiter der Arbeitsgruppe „Nachhaltige Düngung und alternativer Pflanzenschutz“

Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald
Vorstand, Schweisfurth Stiftung

Prof. Dr.-Ing. Susanne Hartard
Umwelt-Campus Birkenfeld/Hochschule Trier Industrial Ecology

Hermann Graf Hatzfeldt

Prof. Dr.em. Eva Lang
Vorstand der Vereinigung für Ökologische Ökonomie
Mitglied und ehem. Vorstand des Netzwerks Vorsorgendes Wirtschaften

Prof. Dr. Rudolf Prinz zur Lippe
Präsident, Forum der Kulturen zu Fragen der Zeit

Prof. Dr. Dirk Löhr
Professor für Steuerlehre und Ökologische Ökonomik

Prof. Dr. Konrad Ott
Philosophisches Seminar der CAU zu Kiel

Dr. Manuel Schneider
Redaktionsleitung „Der kritische Agrarbericht“ Geschäftsführer oekom e.V.

Karl Ludwig Schweisfurth
Schweisfurth Stiftung

Prof. Dr. Irmi Seidl
Eidg. Forschungsanstalt WSL

Prof. em. Dr. Michael Succow
Vorstandsvorsitzender der Michael Succow Stiftung Träger des alternativen Nobelpreises

Beate Weber-Schuerholz
Oberbürgermeisterin a.D. MdEP a.D.

Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker
Ko-Präsident des Club of Rome

Prof. Dr. Hubert Wiggering
Institut für Erd- und Umweltwissensschaften der Universität Potsdam
Vorstandsmitglied der Deutschen AgrarForschungsallianz (DAFA)
Mitglied der Kommissionen Landwirtschaft (KLU) sowie Bodenschutz (KBU) beim Umweltbundesamt

Neue Bauernregeln und alte Fronten

Das Bundesumweltministerium startete neulich eine Kampagne mit neuen Bauernregeln – u.a. „Zu viel Dünger, das ist Fakt, ist fürs Grundwasser beknackt.“ oder „Haut Ackergift die Pflanzen um, bleiben auch die Vögel stumm.“

Ministerin Barbara Hendricks betont dabei (Rede als Text), wie wichtig die breite Diskussion über eine soziale und ökologische Landwirtschaft ist:


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Es ist erschreckend, wie Hendricks seitdem angegangen wurde. Die Verfechter der chemisch-synthetischen Landwirtschaft sehen rot. Ganz vorne dran der Bauernverband („Schließt der Bauer Hof und Stall, brachten Umweltauflagen ihn zu Fall.“) und Landwirtschaftsminister Christian Schmidt: „Eine steuerfinanzierte Kampagne, die die Diffamierung eines gesamten Berufsstandes mindestens in Kauf nimmt, gehört meiner Ansicht nach nicht in den Instrumentenkasten guter Regierungskommunikation. Ich fordere Sie auf, die Kampagne sofort zu beenden und sich für den entstandenen Schaden bei den Bäuerinnen und Bauern öffentlich zu entschuldigen.“ – hier die Antwort von Hendricks.

In den sozialen Medien haben sich die Trolle der Agrarlobby in Stellung gebracht. Und wir Naivlinge hatten schon fast geglaubt, es gäbe ein Umdenken hin zu zukunftsfähiger Landwirtschaft. Aber eines muss man der Bundesumweltministerin lassen: Die Diskussion ist in Gang gekommen.